Adam Wiedemann
Torsten Gellner, Mit dem Herrgott auf dem Klo. Der polnische Erzähler Adam Wiedemann zweifelt gekonnt


Adam Wiedemann: Gewaltige Verschlechterung des Gehörs. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann uund Esther Kinsky.
Hainholz Verlag, Göttingen 2001.
110 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN 3932622669

Adam Wiedemann irritiert. Er fängt an, eine Geschichte zu erzählen: von alltäglichen Reibereien in einem Studentenwohnheim, Lärmbelästigung und hygienischen Eigenheiten von Zimmergenossen. Nachts dringen dann zwei finstere Gesellen ins Zimmer ein und suchen eine "Agata", die es hier nicht gibt, gerade so, als hätten sie sich in der Erzählung geirrt. Ein "verpisst euch" verschärft die gespannte Situation, man geht vor die Tür, der Leser ahnt, was jetzt bevorsteht, doch der Showdown bleibt aus: "Bis hierher hab ich euch geführt, und hier lass ich euch sitzen. Weiter kommt nichts mehr, ihr habt keinen Ausweg, ihr müsst mit mir hierbleiben." Mit dieser unbarmherzigen Entlassung des Lesers endet die Erzählung "Gewaltige Verschlechterung des Gehörs" aus dem gleichnamigen Erzählband von Adam Wiedemann. Dieser literarischer Coitus interruptus, den der junge polnische Autor hier vollführt, wird obendrein von ständigen Reflexionen und Zweifeln des Erzählers unterbrochen. Hat man dem Polen etwa nicht beigebracht, wie man eine vernünftige Story erzählt? Doch, Wiedemann weiß sehr gut, wie das Erzählen funktioniert, das merkt man. Er kennt "das ewig ungestillte Bedürfnis, Ordnung zu schaffen, sich endlich alles der Reihe nach zu erzählen." Dennoch macht er sich und seinen Lesern keinerlei Illusionen darüber, dass eine solche Ordnung immer eine künstliche, eine trügerische Ordnung ist.

Die herausragendste Erzählung des schmalen Bandes, "Der Hauptmann", ist wie die anderen vier Geschichten auch mit einem Untertitel versehen. Als "pornographische Erzählung" wird sie charakterisiert, doch das ist nur eine Finte - zumindest für alle, die jetzt nackte Leiber in unsittlichen Posen erhoffen. Pornographisch ist die Erzählung im übertragenen Sinn: denn wie im Porno zeigt Wiedemann unverhohlen und explizit, was da so abläuft - nicht wenn einer vögelt, sondern wenn einer erzählt. Gleichzeitig spielt er damit auf Witold Gombrowicz an, jenen großen Avantgardisten der polnischen Literatur, der mit seinem Roman "Pornografia" die menschliche Suche nach trügerischer Ordnung thematisiert hat. Genauso verfährt Wiedemann, wenn er den Entstehungsprozess ins Zentrum seiner Geschichte rückt: "Mit wahrer Wonne erlauben wir den Ereignissen, sich zu Ereignisketten zu verbinden, einzelne Ereignisse mögen wir nicht, wir haben die Ketten lieber, krallen uns daran fest, machen den Sinn der folgenden Ereignisse von ihnen abhängig, auch wenn bisweilen mit bloßem Auge zu erkennen ist, dass manche Glieder, gewaltsam mit einem Draht oder gar Faden verbunden, beim nächsten Ruck unserer törichten Existenz unweigerlich reißen werden." So schreibt er und präsentiert dann eine solche fragile Geschichte, die aus einzelnen Ereignissen besteht, aus zufälligen Begebenheiten, die sich "gewaltsam" zu einem vermeintlich Ganzen fügen.

Der Erzähler besagter Geschichte lernt auf dem Warteflur eines Hospitals einen Studenten kennen und schnell stellt sich heraus, dass man einen gemeinsamen Bekannten mit Namen Jacek hat. Der Student kann Jacek so überzeugend parodieren, dass die Lachtränen fließen. Der Spaß findet für den Ich-Erzähler allerdings ein jähes Ende, als er ganz nebenbei erfährt, dass sein Freund Jacek, den er nun seit einigen Wochen nicht mehr gesehen hat, schon seit zwei Monaten tot ist. Die Erzählung kippt nun ins Magische, als bei einer Geisterbeschwörung der Tote persönlich von den mehr als tragischen Umständen seines Hinscheidens berichtet. Später, am Ende der Erzählung, folgt schließlich die Schilderung einer weiteren Zufallsentdeckung: eine Inschrift in einem Strandkorb verweist auf einen "Jungen namens Jacek" - jener Jacek? Dem Leser bleibt es überlassen, die unvermeidliche "Ereigniskette" zu knüpfen, Schützenhilfe des Autors, der jegliches Vertrauen in einen allwissenden Erzähler verloren zu haben scheint, kann er freilich nicht erwarten.

Wiedemann stellt den logischen Ablauf der geschilderten Geschehnisse in Frage, auch in sprachlicher Hinsicht. Umständliche, sich in ihren Aussagen selbst relativierende Sätze und in Klammern eingefügte Ergänzungen vermitteln das Misstrauen des Erzählers in seine Erzählung. Da er sich nicht sicher sein kann, was wichtig ist für eine Geschichte und was nebensächlich, gilt sein Augenmerk ebenso der banalen Alltäglichkeit wie der unerhörten Begebenheit. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Herrgott höchstselbst einer Frau auf der Damentoilette eines Cafés erscheint, um mit ihr über Glaubensprobleme zu sprechen; in Wiedemanns Mikrokosmos versteht es sich dabei, dass man auf den Dialog mit dem Schöpfer nicht allzu viel setzen sollte: "Von einem Gespräch mit dem Herrgott hatte sie sich unvergleichlich mehr erhofft."

Die Erzählung "Padua" ist sogar mit Anmerkungen versehen, welche dem Leser scheinbar konkretisierende Textergänzungen und -alternativen anbieten. Anmerkung Nr. 9, die sich auf den letzten Satz der Erzählung bezieht, lautet ganz selbstbewusst: "Nach einem solchen Satz wäre jedes weitere Wort unangebracht." Also hat der Autor das Vertrauen in seine Arbeit doch noch nicht ganz verloren. Das sollte er auch nicht, schließlich rechnet man den 1967 geborenen Schriftsteller zu den hoffnungsvollsten Talenten der polnischen Literaturszene. Ein Eindruck, der sich mit "Gewaltige Verschlechterung des Gehörs", seiner ersten deutschen Publikation, zu bestätigen scheint. Leider irritiert dabei die gelegentlich unzulänglich wirkende deutsche Übersetzung, die in Bezug auf idiomatische Ausdrücke schon etwas holprig daherkommt. Wenn sich polnische Studenten sprachlich unverkrampft geben, tauchen plötzlich "Knaben" und "Miezen" auf, im Fernsehen laufen "Teleclips", und wenn dann gar "Pfaffen in der Mache" sind, kommt das dem deutschen Leser schon etwas "schofel" vor. Mit solchen Archaismen der siebziger Jahre hat einst Ilja Richter seine juvenile "credibility" bekundet, in Adam Wiedemanns engagiertem Deutschlanddebüt dagegen wirken sie seltsam fehl am Platz.


literaturkritik.de nr 10/2001
Adam Wiedemann
fot. Zbigniew Bielawka








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